Stefan Renner               ← zurück


Entschwindende Landschaft

Das 30 mal 40 Zentimeter große
Querformat von Rudi Weiss aus dem
Jahre 2015 ist schlicht und einfach
mit dem Begriff „Landschaft“ betitelt.
Es zeigen sich auf ihm, opake Schichtungen,
geformte Farbspuren, lustvoll gespachtelte
Texturen, „Hiebe“ und rhythmische
Strukturen, die im Ganzen organisch
wirken, Wachstum reflektieren und
so an Landschaftliches erinnern.
Die feine, tonig erdige Farbigkeit
unterstützt diesen Eindruck. Nur
an wenigen Stellen zeigen sich
reinbunte Farben, die Qualitäts-
und Quantitätskontraste setzen.
Das Querformat an sich ist dem
menschlichen Sehen ähnlich.
Wie durch ein quer liegendes Oval
blickt der Mensch in die Welt.

Bild, Format, Titel und Inhalt kommen
einem deshalb vertraut vor. Befremdlich
scheint zu sein, dass auf dem Bild
nichts genau bestimmbar und das
Bildganze kaum verortbar ist. Es
beschleicht einen beim Betrachten
eher eine Ahnung, die
Landschaftserinnerungen in einem
anklickt: „Das könnte doch…sein“,
„Das erinnert an…“. Dies hängt mit
der Unschärfe-Schärfe Relation
zusammen. Wie hinter einem
milchigen Glas scheint sich hier
etwas Landschaftliches zu zeigen.
Die greifbare suchende, tastende
Arbeits- und Malweise unterstützt
diesen Eindruck noch zusätzlich.
Auch der Maler schien sich an den
Bildgegenstand heran getastet zu
haben – an ein Bild, das etwas von
dem erahnbar wiedergibt, was er einst
gesehen hat. Offen bleibt, ob es sich
dabei um einen Mikrokosmos oder
Makrokosmos handelt. Repoussoir-Motive
zur Orientierung finden sich auf dem Bild
keine. So kann man auch nichts ins
Verhältnis zu dem setzen, was man sieht;
handelt es sich nun um, erdkrustige
Zerklüftelungen des Bodens, um
Felsmassive oder eine Schlucht? Das,
was sich im Kleinen in der Natur zeigt,
scheint mit dem zusammenzuhängen,
was sich auch im Großen zeigt – diese
Einsicht ermöglicht die Unschärfe.
Der Film bedient sich des Mittels der
Unschärfe schon lange. In unscharfen,
verschwimmenden Bildern werden
gedankliche Erinnerungsmomente
und Traumsequenzen entwickelt.
Verschwommenes, Unscharfes ist
insofern konnotiert. Das, was an
Landschaftseindrücken im Maler haften
geblieben ist, was sich eingeprägt hat,
wird hier folglich auch im Sinne eines
Erinnerns und auch eines Festhaltens
entwickelt. Es drückt sich haptisch
wahrnehmbar in den opaken Oberflächen
aus, in die auch hineingearbeitet wurde,
so dass sich erhabene und vertiefte Stellen
als Prägungen zeigen. Prägungen, die
auch in der Natur zu finden sind und
die zudem die zeitliche und räumliche
Entfernung zum eigentlichen Seherlebnis
in Natur und Landschaft im Künstler
und Betrachter hinterlassen haben
könnten.
Diese Arbeit lässt Naturlandschaftliches
durchschimmern und zeigt eine Oberfläche,
unter der Naturwahres wirkt. Dass dies –
wie Naturlandschaften im Allgemeinen –
im Verschwinden begriffen ist und mehr
und mehr mühsam und nicht nie klar
und in HD erinnert werden kann, scheint
auch ein Thema der Arbeit zu sein
und macht diese Arbeit so besonders.
Natur und Landschaft gehen verloren.
Irgendwann hat man nur noch den
Hauch einer Ahnung oder schemenhafte
Erinnerungsfetzen von dem, was
Natur eigentlich einmal war, vor
dem inneren Auge. Zum Ausdruck
gebracht wird hier auch ein fernes
und vergangenes Bild persönlichen
Erlebens von Natur.
Das künstlerische Anliegen von Rudi
Weiss speist sich aus der direkten
Landschaftserfahrung, es reflektiert
malerische Herangehensweisen und
Erinnerungsvorgänge an naturchaotische
Strukturen, die sich in landschaftlichen
Zusammenhängen zeigen. Da nicht
vor Ort gemalt wurde, sondern im
Atelier, wurde der Malprozess selbst
auch zur Erinnerungsarbeit. Die Arbeit
regt auch den Betrachter dazu an, sich
zu erinnern.

Stefan Renner


Je näher man an sie herantritt desto
eher wird diese Arbeit pure Malerei;
je weiter man sich von ihr entfernt
desto eher wird es zu einem erahnbaren
Abbild. Erschaffen wurde so auch eine
stille, sich aufbauende und vor sich
hinfließende Farbwelt, in die man als
Betrachter glaubt eintauchen zu können.


← zurück






i