Auszüge aus der Rede von Prof. Dr. Jochen Höltje               ← zurück

(Künstler-Bund) am 26. Oktober 2013

Rudi Weiss    2010 – 2013  

Liebe Freunde der Bildenden Künste,
ich freue mich die Einführung in die Rudi Weiss Ausstellung halten zu dürfen, fühle ich mich doch hier im Künstlerbund wieder wie zu Hause.
Der Künstler hat seine Präsentation ganz unspektakulär „Malerei 2010 – 2013“ genannt. Ich hätte sie vielleicht „Abstrakte Landschaften“ betitelt.

Bei so vielen Künstlern und Kunst-versierten Besuchern möchte ich gleich mit einer Frage beginnen: „Was verbindet Rudi Weiss mit Josef Albers“. Wahrscheinlich denken die meisten von Ihnen jetzt: so ein Blödsinn, denn gegensätzlicher können zwei Künstler kaum sein. Worauf ich hinaus will, ist: bei beide sind die Farben mit dem Spachtel aufgetragen. Bei Rudi Weiss ist das sofort sichtbar, bei Albers haben selbst die Fälscher nicht erkannt, dass auch er sehr zart die Farben aufgespachtelt hat. Ich habe einmal mit einer Expertengruppe vor so einer Fälschung gesessen. Keiner hat es gemerkt. Nur einer der Anwesenden, ein Künstler und ehemaliger Professor der Städelschule in Frankfurt, war erstaunt, dass das Bild nicht gespachtelt war. Er wagte aber natürlich die Echtheit des Bildes, das von einer namhaften Münchener Galerie erworben war, nicht anzuzweifeln. Er wurde dann später von der Presse bestätigt.

Während bei Albers sein sanfter gespachtelter Farbauftrag der Farbe jede Materialität nimmt und die Farben zu reinen Farberscheinungen macht, so ist die Spachteltechnik bei Rudi Weiss eine ganz prägende Eigenschaft seiner Bilder und verleiht der Farbe haptische und tastbare Qualitäten. Ja man kann die Farben auch riechen, insbesondere natürlich wenn die Arbeiten noch frisch sind. Im Englischen gibt es den schönen sprachlichen Unterschied zwischen Farbe als visuelle Wahrnehmung, colour genannt, und dem Farbstoff, dem Farbmittel, das als paint bezeichnet wird. Die Bilder von Rudi Weiss sind von beidem geprägt: paint und colour. Geduldig werden die Farben Zeile für Zeile häufig in bevorzugter horizontaler oder senkrechter Ausrichtung Schicht für Schicht aufgespachtelt. Nicht auf einer Palette sondern auf der Leinwand selber werden die Farben durch die Spachteltechnik gemischt. Um dem Spachtel genügend Widerstand zu geben, wird die Leinwand ungerahmt an die Atelierwand geheftet. Albers benutzte übrigens Hartfaserplatten

Der pastose Farbauftrag der gespachtelten Ölfarben lässt eine reliefartige, dreidimensionale Oberfläche entstehen, die das Licht spiegelt und bricht: ein Gewoge zwischen Licht und Schatten, pulsierende Schwingungen der Farben, ein flirrender Farbenteppich. Die Bilder zeigen weniger die Farben selber sondern vielmehr wie Farben aus der Brechung des Lichtes entstehen. Dies kann man besonders gut erfahren, wenn man bei der Betrachtung der Bilder mit Abstand und Blickwinkel spielt. Die einzelnen übereinander gelegten Malschichten lassen den Blick frei auf die unteren Lagen und an manchen Stellen bis auf die Leinwand. Da leuchten rote, grüne, gelbe Farbinseln auf und ordnen sich dem Gesamtfarbklang unter, ein sehr komplexes Farbengewebe. Ein auf den ersten Blick hin weißes Rudi Weiss Bild zeigt bei genauerer Betrachtung das gesamte Spektrum der Farben des Prismas.

In den neueren Arbeiten, wie hier in der Ausstellung gezeigt, wird das feingliedrige Stakkato der Spachtelstriche (siehe das Bild am Treppenaufgang) meist zugunsten großflächiger Farbinselflecken aufgegeben, wobei die Farben auch hier und da mit der Hand und einem Lappen verwischt werden können. Dabei entstehen manchmal Zufallsstrukturen, die den Künstler inspirieren und dann von ihm bewusst weiter verarbeitet werden. Im Vergleich zu den früheren Arbeiten bekommen die Bilder eine größere Raumtiefe. Die raue Spachteloberfläche wird ruhiger und in das Farbgefüge werden einzelne Schwerpunkte, Betonungen gesetzt.  

Rudi Weiss ist in der Tat fasziniert vom geordneten Chaos natürlicher Strukturen wie den reliefartigen Oberflächen von Steinen (siehe die Bilder in den Glasvitrinen), den zerklüfteten Gebirgslandschaften, den krustigen, knorrigen Borken von Ästen und Baumstämmen, den aus dem Flugzeug gesehenen Stadtlandschaften oder den flimmernden Licht- und Farbreflexen eines Wasserlaufs. Die Malweise, das Aufspachteln der Farben, das wieder Abkratzen und erneute Auftragen der Farben modelliert die Farben und lässt eine vielschichtige, schroff und zerklüftete Bildoberfläche entstehen. Das Spachteln erzeugt zueinander und auseinander spielende Bewegungsimpulse der Farbstriche, lässt die Farben vibrieren und regt sie zum Schwingen an. Diese Maltechnik korrespondiert mit, ist adäquat zu den Themen der Bilder: Garten, Stadt, Stein, Fluß, Kisten oder Gärten. Es sind diese so malerischen Reflexionen des einfallenden Lichtes, das sich an den Spachtelstrukturen in die prismatischen Farben aufspaltet, was die Bilder von Rudi Weiss thematisiert. Leonardo da Vinci schreibt: „Die Malerei befasst sich mit der Oberfläche, Farbe und Gestalt aller Werke der Natur“. Und Anja Rumig formuliert so treffend: „Die Bilder von Rudi Weiss sind eine Hommage an die Malerei“.

Die Bilder von Rudi Weiss wirken auf den ersten Blick ungegenständlich, sind aber doch, wie auch die Titel verraten, keine abstrakten Bilder, sondern sie setzen sich mit natürlichen Gegebenheiten auseinander. Die eigenen Naturerlebnisse sind für ihn Bildanregungen. Vorrangig ist nicht eine irgendwie geartete Abbildlichkeit sondern das Seherlebnis, das Bilder entstehen läßt. Für die Bilder von Willem de Kooning wurde der Begriff „Abstrakte Landschaften“ geprägt, der auch die Arbeiten von Rudi Weiss gut beschreibt, besonders für die hier gezeigten neueren Arbeiten. So abstrakt sie auch auf den ersten Blick hin wirken, es sind doch Reflexionen auf die Natur. Die Bilder werden ohne Vorskizzen im Atelier gemalt. Auch wenn es keine wirklich ungegenständlichen Bilder, keine absolute Malerei sind, sie erlauben ein vom Gegenstand befreites, den Sinnen unmittelbar zugängliches Sehen. Leider müssen wir dieses Sehen schulen, denn wir sind gewöhnt das Sehen immer als Sehen-als, als Erkennen-von, zu gebrauchen, da dies in der Tat die wichtige biologische Funktion des Sehsinns ist. So haben viele Kunstbetrachter immer noch ein Problem vor abstrakten Bildern. Sie wollen das Bild verstehen, indem sie nach etwas aus der figürlichen Welt suchen. Wenn ihnen erklärt wird, dass es sich hier oder da um einen bestimmten, wenn auch abstrahierten Gegenstand handelt, oder um Wolken oder Wasser, sind sie befriedigt und reagieren mit: jetzt verstehe ich das Bild. Es hilft auch nicht die gegenständlichen, figürlichen Bilder auf den Kopf zu stellen, um das Augenmerk der Betrachter auf die Malerei zu lenken. Die Besucher laufen dann eben mit verdrehtem Kopf durch die Ausstellung, wie es bei –sie wissen schon wen ich meine- Baselitz häufig der Fall ist.

Zugegeben, gegenständliche Bilder leben zusätzlich zur Malerei auch vom Gegenständlichen. Was wären die wunderbaren Farbmalereien von Vermeer ohne die Magd, die mit dem kräftigen Arm die Milch einschüttet oder ohne den protzigen Seefahrer der der zarten jungfräulichen Schönheit aus seiner großen, weiten Welt erzählt? Die ungegenständliche Malerei ist eine eigene Spielart der bildenden Künste, die anders geartet ist als die gegenständliche Malerei. Sie ist reines Seherlebnis, das die Seele unmittelbar berührt, ja Poesie.
Dies ist möglich weil Farben und Formen, wie schon erwähnt, den Sinnen unmittelbar zugänglich sind, frei von Gehirnarbeit. Sehen ohne zu denken ist wie Musik hören, heißt sich ganz den Empfindungen hingeben, die unser Sehsinn auslöst. Von Gottfried Boehm stammt der schöne Satz: „Wenn wir plötzlich nicht mehr wissen, was wir sehen, sehen wir oft zum ersten Mal“.

Die Bilder von Rudi Weiss sind dem Impressionismus eines Monets nahe, denken Sie nur an die späten Seerosenbilder. Jedoch sind sie fester gefügt, nicht so weich und unscharf, schon durch den Spachtelauftrag der Farben. Es sind aber auch keine pointillistischen Arbeiten. Während der Pointillismus, für mein Empfinden, etwas sehr starres, mosaikhaft Gebautes hat, ist die Malerei von Rudi Weiss viel lebendiger durchstrukturiert: ein An- und Abschwellen der Farbintensitäten, ein Vor und Zurück im Farbenraum. Da ein individueller Pinselduktus fehlt, der einer Handschrift gleich dem Bild eine persönliche, kalligrafische Betonung geben kann, lebt die Malerei von Rudi Weiss, die bewusst auf einen individuellen Ausdruck verzichtet, vor allem vom eigenen Klang der Farben. Da sind wir wieder gar nicht so weit von Albers entfernt, denn beiden geht es mehr um die Farbe als um einen kompositorischen Bildaufbau. Doch die Bilder von Rudi Weiss wollen nicht das Phänomen Farbe und ihre Interaktionen in fast wissenschaftlichen Studien untersuchen, wie es bei Albers der Fall ist. Rudi Weiss ist ein organischer Aufbau des Gemäldes, der eine naturverwandte Bildkomposition schafft, wichtig, denn all seine Bildfindungen, ob nun mehr gegenständlich oder mehr abstrakt, kommen aus der Natur, sind atmosphärisch landschaftliche Fantasien.
Für mich sind seine Bilder eine „Hommage an die Schönheit der Natur“.

 (Jochen Höltje)

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