Auszüge aus der Rede von Frau Dr. Sabine Heilig               ← zurück

Landschaftsmetamorphosen
Rudi Weiss, Elly Weiblen, Franz Baumgartner

SüdWestGalerie
Hüttlingen-Niederalfingen
26.10. – 7.12.2014
Rede zur Ausstellungseröffnung am 26. Oktober 2014


Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Elly Weiblen, Rudi Weiss und Franz Baumgartner,

Landschaft, darunter verstehen wir das „da draußen“, das jenseits unseres urbanen Umfeldes. Landschaft bedeutet Raum, Naturraum, mal natürlich belassen, dann auch von Menschenhand geformt. In der Landschaft verbringen wir unsere Freizeit, dort können wir uns vom Alltag erholen. In der Landschaft, respektive in der Natur, tanken wir auf. Können wir das auch beim Betrachten von Landschaftsbildern?
Landscape, paysage, paesaggio – heißt Landschaftsmalerei in anderen Sprachen und meint dasselbe wie bei uns, nämlich die Darstellung von Ausschnitten aus der Natur.

Erst zur Wende des 17. Jahrhunderts wurde, ausgehend von den Niederlanden, die Landschaft in der Malerei ein eigenes Bildthema, ausgelöst von den tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen in dieser Zeit und dem wachsenden Wohlstand bürgerlicher Schichten.  Zunehmend setzte sich eine naturalistische Bildauffassung durch, losgelöst von den davor jahrhundertelang geforderten mythologischen und historischen Szenen, denen die Landschaft als schmückender Hintergrund diente. Eine weitere Entwicklung erfuhr die Landschaftsmalerei am Anfang des 19. Jahrhunderts in den Bildern der Romantiker, die ein subjektives Erleben von Landschaft aufzeigten. Als die Wahrnehmung wichtiger wurde als die Bedeutung eines Motivs, im Impressionismus, begannen sich Künstler, von der konkreten Körperlichkeit der Erscheinungen zu lösen. Sie ebeneten den Weg zur Moderne.
Für das 20. Jahrhundert, als dessen Kinder wir uns ja begreifen, wurde eine Entfremdung des Menschen von der Natur festgestellt, was sich in den unterschiedlichsten künstlerischen Modellen ausdrückte (z.B. Beuys‘ Projekt der 7000 Eichen für Kassel anlässlich der documenta 7, 1982). Landschaft wurde zur Projektionsfläche radikal subjektiver Aktionen, nicht nur in den Werken der Land Art. Dynamik und Prozesshaftigkeit waren die Stichworte. Andere Künstler, vor allem Maler, verwiesen zur gleichen Zeit auf den ästhetischen Wert von Landschaft, so wie Gerhard Richter, der, danach gefragt, warum er in den späten 60er-Jahren so viele Landschaftsbilder gemalt habe, lapidar antwortete, er hätte „Lust gehabt, etwas Schönes zu malen“ (Interview mit Rolf-Gunter Dienst), um im gleichen Zusammenhang die Verklärung anzuprangern, die wir der Natur entgegenbringen.
Diese Diskrepanz bestimmt noch immer das künstlerische Denken.

Rudi Weiss (geb. 1952 in Ingolstadt) thematisiert das auf sehr subtile Art und Weise. Sein Werk ist unseren Sinnen direkt ausgeliefert. Die Bilder aus vielen Schichten gespachtelt aufgetragener Ölfarbe können unvermittelt ihre Wirkung wechseln. Was zunächst an reale Erscheinungen erinnert (an Felsen oder Wasseroberflächen, „Fluss“, 2007 z.B.), springt im gleichen Moment um und ist nunmehr nur noch Farbmaterie – und umgekehrt. Es ist dicke, pastos aufgetragene Farbe, die wie gebaut oder gewachsen wirkt.
Rudi Weiss verbindet in seinen Bildern die natürliche Erscheinungen mit dem Aspekt eines langsamen Wachstums analog seines langwierigen Prozesses beim Farbauftrag. Darüber hinaus vermittlet der grobe Aufbau des reichen Impasto (ital.: Teig) Ursprünglichkeit und Naturverwandtheit. So lässt das Betrachten seiner Werke an eine natürliche Entstehung denken; man kann seine Farbsetzungen als organisches Material empfinden.
Rudi Weiss sei fasziniert vom geordneten Chaos natürlicher Strukturen, wird über ihn gesagt. Das heißt, der Künstler hat durchaus natürliche Eindrücke vor Augen, die er im Atelier in Malerei umsetzt. Beim Malen lässt er sich jedoch nicht von der Gegenständlichkeit eines Motivs lenken, sondern von der Arbeit mit der Farbe selbst. Mit ihr formt er noch nie dagewesene Steine, meerumspülte Felsen, Flussoberflächen, Alpenwände, Garten-Bilder, Stadtansichten, Fassadenflächen usw.. Der gestalterische Impuls, das Setzen der Farben mit Hilfe des Spachtels, wird in einem fahrigen Malgestus in zueinander- und auseinanderkommenden Bewegungen umgesetzt. Die krustigen, rohen Farboberflächen beginnen zu vibrieren, eine räumliche Wirkung entsteht. Man glaubt, sich spiegelndes Licht auf den Oberflächen zu sehen, das sich  an den Spachtelspuren prismatisch aufspaltet (J. Höltje). Rudi Weiss‘ Bilder sind aus vielen unterschiedlichen Farben zusammengesetzt. Im Gesamteindruck überwiegen weißlich-helle oder ins Graue tendierende Töne, die jedoch immer mit bunten Farben angereichert sind (heute auch sehr stark farbige Bilder, z.B. „Track“, 2010). So werden allein schon durch die Farbigkeit differenzierte reale Assoziationen wie Landschaft („Land und Wasser“, braune und blaugraue Töne) oder Felsen (graue Farben) erzeugt. Dennoch ist eine motivliche Eindeutigkeit nicht immer gegeben. Die Vernetzungen der Farbhaut sprechen weniger von der Motivik des Bildes als von dem sichtbaren Gegeneinander von Aufbau und wieder Abtragung. Diese Ambivalenz der Wirkungen und die Spannung zwischen Abbild und Ahnung verhelfen den Arbeiten von Rudi Weiss zu ihrer faszinierenden Ausstrahlung. Unaufhaltsam wird man in den Bildraum gesogen, in diesen unglaublich nuancenreichen Farbraum, der einen wie ein weiches Gewebe umhüllt.

© Dr. Sabine Heilig, Nördlingen, im Oktober 2014

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