Auszüge aus der Rede von Irene Frechl               ← zurück

Zur Eröffnung der Ausstellung »Heimspiel«
am 7. April 2016 in der Schwäbischen Bank

…»Fluss« nennt Rudi Weiss Bilder, die seit 2005 entstehen, und er gesteht, dass er beim Malen durchaus Natureindrücke vor Augen hat. Wir dürfen sie auch haben, denke ich, und assoziieren: einen schnell fließenden, über Steine und Felsen spritzenden, sprudelnden Gebirgsbach, oder einen träge dahingleitenden Strom mit Sandbänken, Grasinseln, mit allerlei mitgeführten Gegenständen – was eben so alles in einem Fluss mitschwimmen kann ­– oder ein fast ausgetrocknetes Flussbett mit abgelagertem Geröll, einzelnen Wasserläufen und Wasserlachen. Dazu Spiegelungen, Flirren des Lichts, dunkle tiefe Stellen oder kreiselnde Strudel.

Selbstverständlich hat Rudi Weiss das so nicht gemalt, keinen bestimmten Bach, Fluss, Strom, keine mitschwimmenden Äste und Blätter, hat überhaupt nichts Gegenständliches darstellen wollen, aber ein Anklang zum Realistischen ist nicht ganz zu leugnen: Schon die Farbigkeit im blau-grau-grünen oder erdig-sandigen Bereich erinnert eben an Wasser und umgebendes Ufer oder Flussbett.
Er habe Zielvorstellungen, wenn er die Grundsubstanz wähle, sagt der Künstler, aber das meiste entscheide sich dann beim Machen: »Man malt etwas und es ist etwas ganz anderes«.
Auch bei den daneben hängenden Arbeiten scheint etwas im Fluss: Sie heißen »Tremur« und »Track«, benannt mit Phantasieworten, wie der Künstler mir erklärt hat, nachdem ich sämtliche Wörterbücher durchsucht hatte.

Und dann »Tipo«, ein breites Doppelbild aus dem vergangenen Jahr.
Hier fließt es nicht, sondern strudelt, ballt sich, wölkt – und das ist die Spur: Wolkenformationen in allen erdenklichen Farben von Weiß über Blaugrüntöne bis ins Schwefelgelb eines Gewitters … Und die schönsten Wolken stammen (sagt Rudi Weiss) von Tiepolo.
Nehmen Sie sich nachher mal die Zeit, in dieses Himmelsbild einzutauchen.

Hier hängt eine »Stadt«, mit genügend Abstand (je näher man herangeht, desto abstrakter wirken die Bilder) unverkennbar: eine Stadt aus geschichteten Kuben und Linien von schräg oben betrachtet.
Für Rudi Weiss sind Gegenstände kein malerischer Vorwand, es sind Themen, die er variierend bearbeitet. Sie erscheinen uns (das gilt auch für die anderen Künstler) zunächst als gestische Äußerungen, aus der Hand spontan und temperamentvoll auf Papier oder Leinwand gebracht, tachistisch gemalt oder automatisch gezeichnet, gewissermaßen genialische Hand-Arbeit.
Das klingt gut, ist aber schlicht falsch. Stattdessen haben wir es mit langwierigen und überlegten Prozessen zu tun: Da gibt es Vorarbeiten und Studien und viele, viele Arbeitsgänge.
Bei den großen Gemälden nagelt Rudi Weiss die Leinwand, den Malgrund an die Wand, spachtelt die Ölfarbe in Streifen darauf, dunklere Farben unten, heller darüber, und zieht waagrechte Streifen ab, wobei sich beim Ansatz des Spachtels, oder auch beim selten benutzen Pinsel, die Farbschichten verzahnen, pastose Schichtungen, Krusten entstehen, Reliefs oder sogar die Farbe, wenn sie schwer ist, ein wenig nach unten sackt.
Zum Teil sieht man unter der abgekratzten Farbe die Leinwandstruktur durchscheinen, zum Teil leuchten Farbflecken hervor, rot oder türkis, das sind dann Ankerpunkte fürs Auge, sie halten den Blick einen Moment fest, bevor er wieder weiter gleitet oder in der Stadt herumspaziert. Denn dieser Dynamik, der mitreißenden Bewegung kann man sich schwer entziehen, zumal sie ja auch nicht durch einen Rahmen gestoppt wird.

© Irene Ferchl, 7. April 2016

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